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#MiSA Talk: Stabsübergabe im Master-Studiengang von Dieter Haller an Margot Vogel Campanello
Nach neun Jahren geht die Studiengangsleitung von Dieter Haller an Margot Vogel Campanello über. Zeit für eine Tour d’Horizon.
Margot Vogel Campanello, herzlich willkommen an der BFH: Sie sind das neue Berner Gesicht des Master-Studiengangs in Sozialer Arbeit. Was hat Sie motiviert, die Studiengangsleitung zu übernehmen?
Margot Vogel Campanello: Vielen Dank! Ich finde es sehr reizvoll, an der Positionierung des Masters in Sozialer Arbeit in der Schweizer Hochschullandschaft mitzuwirken. Ich freue mich darauf, den Master inhaltlich mitzugestalten, also einerseits an der inhaltlichen Konzeptionierung mitzuwirken und zugleich selbst in der Lehre involviert zu sein. Ich möchte auch weiterhin ein Standbein in der Forschung haben. Und nicht zuletzt sind damit auch Aufgaben im sogenannten Third Space (Position an der Schnittstelle zwischen dem akademischen Betrieb und der Verwaltung, Anm. d. Red.) verbunden – für mich eine persönliche Weiterentwicklung. Die Verbindung all dieser Elemente hat mich sehr angesprochen.
Dieter Haller, seit Ende Juli sind Sie in Pension. Sie haben den Studiengang am Standort Bern während neun Jahren geleitet. Kürzlich sagten Sie an einer internen Veranstaltung, der Master-Studiengang feiere dieses Jahr seinen 15. Geburtstag – er sei ein typischer Teenager. Mögen Sie uns diesen Teenager näher charakterisieren?
Dieter Haller: Als der Studiengang entwickelt wurde, orientierte man sich noch sehr stark an den Universitäten. Sehr rasch sah man sich mit der Frage aus der Praxis konfrontiert, welchen Nutzen ein solcher Studiengang auf Masterstufe bringe. Kaum war der Studiengang aus der Kleinkinderphase raus, setzten wir uns ab 2014 damit auseinander, wie die Praxisorientierung gestärkt werden könnte. Wir überarbeiteten das Curriculum sehr grundsätzlich. Wir haben das Projektatelier entwickelt, in dem die Studierenden in enger Zusammenarbeit mit der Praxis ein Projekt aus der Praxis bearbeiten. Daraus sind sehr enge Verknüpfungen mit der Praxis entstanden, insbesondere auch in der gesetzlichen Sozialarbeit.
Neu entwickelt haben wir auch die Forschungswerkstatt, in der Forschende der Fachhochschule ihre Projekte in den Unterricht mitbringen und mit den Studierenden daran arbeiten. Das bietet Einblick in die praxisorientierte Forschung, in der die Fachhochschulen ja sehr stark sind.
Seit 2020, als der Studiengang ins Jugendalter eintrat, wird inhaltlich darauf geachtet, bei der Entwicklung thematischer Vertiefungen agil und dynamisch zu sein: So wird nun beispielsweise eine Themenwoche zu künstlicher Intelligenz und Digitalisierung angeboten. Das sind Angebote, die dem Zeitgeist entsprechen und auch die Bedürfnisse der Praxisfelder aufnehmen.
Nun hatte die Praxis offenbar zu Beginn nicht auf diesen Studiengang gewartet. Wie sind denn die Rückmeldungen heute? Reift der Teenager zu einem gesunden jungen Erwachsenen heran?
Haller: Es gibt beide Stimmen. Wer Erfahrungen mit Absolvent*innen auf Masterstufe macht, ist davon oft sehr überzeugt und sieht, dass es in der Praxis mehrere Anwendungsfelder gibt, in denen die Masterkompetenzen sehr dienlich sind. Immer mehr Leitungspersonen erkennen dies. Es gibt aber auch jene, die innerlich am alten Modell mit einer soliden Grundausbildung auf Bachelorstufe (früher HF) und anschliessenden Weiterbildungen festhalten wollen. Die jeweilige Meinung hängt vermutlich auch mit der eigenen Berufsbiografie zusammen. Grundsätzlich fand in den letzten zehn Jahren ein Prozess der Anerkennung der zweistufigen Grundausbildung in Sozialer Arbeit statt.
Hat es Sie persönlich überrascht, wie viel Überzeugungsarbeit es dafür gebraucht hat?
Haller: Ja, eigentlich schon. Aber das hat auch mit mir selbst zu tun. Ich selbst hatte nach fünf Jahren als Sozialarbeiter mit Grundausbildung das starke Bedürfnis, noch mehr zu wissen, mich weiterzuentwickeln. Damals gab es noch keinen Master-Studiengang, sondern man wählte den Weg eines sozialwissenschaftlichen Studiums. Vor diesem Hintergrund erstaunen mich diese Widerstände. Vor allem im Quervergleich zu anderen Disziplinen. Die Sekundarstufenlehrkraft soll auf Masterstufe ausgebildet sein, doch die Schulsozialarbeitenden nicht. Das ist irrational.
Margot Vogel, welchen Stellenwert hat die Master-Ausbildung in Sozialer Arbeit für Sie? Wo sehen Sie das Potenzial?
Vogel Campanello: In der Sozialen Arbeit haben sich die Arbeitsfelder stark ausdifferenziert. In vielen Bereichen sind die Organisationen heute viel komplexer als früher. Da braucht es eine entsprechende Anpassung auf Seiten der Ausbildung. Wir müssen die Studierenden befähigen, in diesen komplexeren Organisationen die Soziale Arbeit vertreten zu können. Es braucht Fachkräfte, die im Hinblick auf die Problembearbeitung analytisch stark sind und Interventionen sorgfältig planen können.
In der Tendenz hat die Soziale Arbeit auch heute noch eine schwache Position. Sie kann in interdisziplinären Gremien ihre Stimme zum Teil zu wenig stark einbringen. Ich sehe in der Master-Ausbildung die Möglichkeit, zu schärfen, was die Soziale Arbeit leisten kann und was der Mehrwert der sozialarbeiterischen Perspektive in diesen Gremien ist. Soziale Arbeit hat die Fähigkeit, einen gesamtheitlichen Blick einzubringen. Der Master kann als vertiefende, generalistische Ausbildung dazu beitragen.
Wer sind die typischen Master-Studierenden?
Vogel Campanello: Ich lege jenen Bachelor-Studierenden das Master-Studium nahe, die sich sehr interessiert, neugierig und leidenschaftlich mit den Themen auseinandersetzen.
Haller: Es gibt jene Studierenden, die sich fachlich-inhaltlich vertiefen möchten. Sie haben Interesse an der Vielfalt und Breite der Sozialen Arbeit und realisieren, dass sie mit inhaltlichem Wissen und ihren Handlungskompetenzen an ihre Grenzen kommen. Schliesslich gibt es jene, die ihre Karriere planen, die Lust haben, mehr Verantwortung zu übernehmen. Da gibt es einerseits die fachlich-disziplinäre Führung mit dem Ziel, mal eine Teamleitung, vielleicht später eine Institutionsleitung zu übernehmen, andererseits gibt es auch jene, die eine Hochschulkarriere anstreben. Sie arbeiten an einer Fachhochschule, um später Dozent*in zu werden. Für mich gehört auch das zur Erfolgsstory des Masters: Zurzeit arbeiten ungefähr zehn Master-Absolvent*innen bei uns im Departement, was einem Zehntel der in Lehre und Forschung Arbeitenden entspricht.
Vogel Campanello: Es braucht diese Nachwuchsförderung unbedingt.
Haller: Und nun kam jüngst ein weiterer Meilenstein hinzu: Seit Februar 2022 kann man mit einem Master-Abschluss am Transdisziplinären Institut für Soziale Arbeit (ITTS) an der Universität Neuenburg direkt ein Doktoratsstudium beginnen.
Gibt es im Studiengang Weiterentwicklungen, die sich abzeichnen und auf die sich unsere künftigen Studierenden schon jetzt freuen können?
Vogel Campanello: Es ist zu früh für mich, das zu beurteilen. Ich möchte mich erst richtig einarbeiten und vertiefen. Die Studierendenzahlen sind stabil, circa acht bis zehn Prozent der Berner Bachelor-Absolvent*innen führen ihr Studium mit dem Master fort. Wir müssen weiterhin am quantitativen Wachstum arbeiten.
Haller: Wir konnten im Zuge der Neuausrichtung unseres Bachelor-Studiengangs wertvolle Schritte der Verzahnung zwischen Bachelor und Master gehen: Wir haben heute ein aufeinander abgestimmtes Kompetenzprofil. Formal war das ein grosser Schritt. Nun muss die Umsetzung angepackt werden.
Auch an den anderen Standorten Luzern und St. Gallen wechselte vor Kurzem die Programmleitung. Da gibt es viel frischen Wind. Dieter Haller, wo sehen Sie die Stärken der Masterkooperation?
Haller: Es kommt Wissen und soziale Kompetenz aus drei unterschiedlichen Institutionen zusammen, was sehr ertragreich und nützlich ist. Jede Hochschule bringt ihren eigenen Schwerpunkt ein: St. Gallen stellt die Profession in den Vordergrund, Luzern die Sozialpolitik und Bern die Institutionen und das Thema Führung. Das gibt eine breite Palette an Inhalten. Dahinter steht auch ein tolles Netzwerk.
Im Hintergrund bedeutet die Kooperation aber auch Arbeit, beispielsweise auf rechtlicher Ebene: Wie geht man beispielsweise mit künstlicher Intelligenz um, welche Regularien braucht es dafür? Alle drei Hochschulen erarbeiten ihre eigenen Reglemente. Die Kooperation muss ihren Weg darin dann finden.
Dieter Haller, lassen Sie uns nach vorne schauen. Ihre Pensionierung steht bevor. Worauf freuen Sie sich?
Haller: Ich habe nun viel Zeit für Unternehmungen, die ich gerne mache: Fernwanderungen, Lesen oder Zeit für mein Enkelkind. Ich möchte aber auch eine Art beruflich-persönliche Standortbestimmung machen: Zurückblicken auf das, was ich alles gemacht habe und schauen, was ich mit diesen Erfahrungen noch bewirken kann. Thematisch interessieren mich transkulturelle Perspektiven. Ich hätte Lust mich damit zu befassen, was dabei Möglichkeiten von Begegnungen auf Augenhöhe sind.
Margot Vogel Campanello, worauf freuen Sie sich am meisten an der BFH?
Vogel Campanello: Ich freue mich sehr, neue Kolleg*innen mit einer grossen disziplinären Vielfalt kennenzulernen. An der Universität Zürich waren wir am Lehrstuhl ein kleines, feines Team. Nun finde ich es anregend, in eine grössere Abteilung zu wechseln. Ich freue mich auch, erneut mit Studierenden der Sozialen Arbeit in Austausch zu kommen und bin sehr neugierig auf das Kommende.
Von der Universität Zürich zur BFH
Vor ihrem Stellenantritt an der BFH war Margot Vogel Campanello ab 2019 Oberassistentin an der Universität Zürich am Lehrstuhl für Sozialpädagogik. Sie habilitiert zum Thema «Kindesvernachlässigung im Kontext von Gesellschaft». Zuvor arbeitete sie von 2013 bis 2022 als Dozentin und Forscherin an der Hochschule Luzern in den Bereichen Kindesschutz, Familie und soziale Ungleichheit, Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus. Ihre Dissertation schrieb sie zum Thema «Männlichkeit und Nationalismus. Analyse der Selbstdarstellung rechts-orientierter junger Erwachsener». Die neue Studiengangsleiterin ist Sozialpädagogin und war unter anderem im Asylwesen, in der Jugendarbeit und in der Schulsozialarbeit tätig.
Das Interview führte Denise Sidler Kopp.